Cloud City, Kuddel Community Abende 2022 #1

Es war nun der vierte Kuddel Wettbewerb, nach den Lavahaien, den Matchdrachen und den Gurkengnomen, waren letzten Samstag Kurzgeschichten zum Thema Cloud City dran.

Kuddel aka Ann-Kathrin Karschnick hat den ca. 20 Zuschauer*innen¹ die zehn plus eine Community Kurzgeschichten vorgelesen. Natürlich war eine von mir darunter.
(¹ hierzu zähle ich nur die mit, die abgestimmt haben, da ich die Viewer nicht beachtet habe. )

Kuddel nutzte wieder das gleiche System wie im Dezember. Sie las eine Geschichte vor und dann schaltete diesmal Jay eine Abstimmung. Jeder Zuschauer hat dann 3 Minuten Zeit der Geschichte eine Schulnote zu verpassen. Wie es jetzt Mathematisch funktioniert, daraus einen Schnitt und den
Gewinner zu ermitteln, lass ich mal dahin gestellt.

Im Dezember war ich zugegebenermaßen mehrfach geknickt, da ausgerechnet in meiner Geschichte der Stream gestört war und die Abstimmung nicht ordentlich lief. Jedenfalls war ich da letzter und habe mir es verkniffen die Geschichte zu zeigen. Das möchte ich ändern, da ich das Gefühl habe, es könnte das falsche Publikum für meine Art von Geschichten sein. Also hier meine Cloud City:


Hoffnung ist ein Schloss in den Wolken

Von F.P. Black (12/2021-01/2022)

Hoffnung ist ein Schloss in den Wolken? Den Spruch hatte Dave vor drei Stunden in die Decke unseres Baumhauses in dem kleinen Strebergarten geritzt. Ein Grinsen schob sich in mein trauriges Gesicht. Eben vor Mum geflohen, will ich hier alles raus heulen und dieser Idiot von einem besten Freund brachte mich zum Lachen.

Wie bestellt zog in dem Moment eine kleine Wolke vor dem fast vollen Mond vorbei. Auf dem Balkon unserer Cloud City starre ich in die Sterne. Das namensgebende Hintergrundbild kam mir in den Sinn. Eine Stadt in den Wolken. Ich wäre gern da oben, weg von diesem Stress mit der Schule und den Ellies. Die mühten sich, die Fernbeziehung irgendwie auf die Kette zu bekommen. Doch es war deutlich, wie Mutters Nerven mit jedem Tag blanker lagen. Früher war eine Drei in Mathe nie ein Weltuntergang, heute schon.

In das Tagebuch in meiner Hand würde ich keine guten Worte schreiben. Selbst wenn ich mir die Neujahrsvorsätze durchlese. Netter zu den Eltern sein, das war so schwer. Dave gestehen, dass da mehr als Freundschaft ist. Welchen Lack hatte ich letzten Silvester gesoffen? Jetzt eine Wolke unter mir. Weg von alle dem. So schön.

»Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum!« Auf Daves Satz folgte ein lautes Würgegeräusch. Ohne hinzusehen wusste ich, welche Geste er zeigte.

»Ich träume nicht, sondern verfluche dich, meine Mum, die Drei in Mathe, den blöden Müller, der mir den einen Punkt nicht gegeben hat, die Vorsätze für dieses Jahr und hatte ich deinen Spruch schon erwähnt?«

»Pah, ich kann wieder gehen.« Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme fehlte.

»Dafür bist du zu faul. Jetzt wo du Extra für mich hier her gelaufen bist.« Das Buch schob ich mir vorn in die Hose.

»Hast du etwa wieder Geheimnisse?« Nach der Litanei von mir hatte er echt nur dafür Interesse? Auf der anderen Seite war ich froh, dass er mir diese zugestand. Er war großer Fan der Offenheit in einer Freundschaft.

Als ich mich endlich zu ihm umdrehte, war nur das Lächeln auf seinen vollen Lippen. Alles woran ich in dem Moment dachte, war, wie sich diese anfühlten. Konnte er gut küssen? Nervös spielte der rechte Zeigefinger an dem Band meines Rucksacks. Warum wechselt er nicht das Thema?

»Das macht dich verlegen?« Seine Stimme war dünner. Sprach er von sich selbst? Ich hob meinen Blick, schwerer Fehler. Durch die Dunkelheit war von seinen braunen Augen fast nichts mehr zu sehen. Die Straßenlaterne spiegelte sich in zwei wunderschönen Perlen.

Mein Fluchtreflex griff. Ich stürmte an ihm vorbei, wickelte die Beine um das Seil und rutschte hinab.

»Jule, warte, ich meinte das nicht so. Was hab ich falsch gemacht?«

Nichts, das war genau mein Problem. Dave verhielt sich wie der perfekte Freund. Er verstand mich stumm. Wer nicht kapierte, was sich abspielte, war ich selbst. Die Gefühle spielten verrückt, schlossen sich gegenseitig aus und doch existierten sie. Eis war der einzige Ausweg. Nur der Fastfoodladen am Bahnhof hatte noch offen. Das Longboard brauchte ich, um durch den ganzen Stadtteil zu fliehen.
Das Geräusch der Rollen hallte sanft von den Häusern wieder. Es war so still in diesem Viertel. Das mochte ich. Ruhe ist gut und mein Freund.

***

Zu allem Glück schob Daves Bruder heute Schicht hinter der Kasse, weshalb ich am Automaten bestellte. Die Hoffnung, er würde mich weder bemerken noch bedienen, löste sich direkt auf, als er »Jule!« durch das Restaurant rief.

Quietschend näherten sich seine Schritte. Ich erkannte sie am Ton. Erneut wünschte ich mich auf die Wolke.

»Hey, dich gibt es auch allein?«

Er schien überrascht zu sein, dass sein Brüderchen nicht bei mir stand.

»Ach, da bist du ja, hey Bro.« Er drehte um und verschwand mit einem überdeutlichen Grinsen zu seiner Kasse.

Mir war eiskalt. Als bester Freund kannte er all meine Verstecke. »Hey Dave! Eis und Cola Zero wie immer, oder lieber nen Burger?« Oh je, ich faselte drauf los.

»So verlegen bist du ziemlich cute, weißt du das?«

Himmel, konnte er einmal …?

»Es tut mir leid.«

»Lass es, ich will das Eis und mit meinen Gedanken kämpfen.«

»Darf ich dir dabei Gesellschaft leisten? Bin auch ganz leise.«

Ich nickte und ging zum nächsten freien Tisch. Eine Nummer brauchten wir nicht, sein Bruder würde uns finden. Um ihn auf Abstand zu halten, setzte ich mich gegenüber, verbarrikadierte den Platz neben mir mit Rucksack und Longboard. Packte mein Buch aus.

»Kann ich dich etwas fragen, bis dein Eis da ist?«

Er würde nicht so unfair sein und eine Unpassende stellen? Das Nicken fiel deutlich genug aus.

»Warum warst du in Cloud City und welche Aussage hast du dir verkniffen?«

Erstens waren das zwei Fragen und zweitens war er doch so unfair. Hektisch suchte ich seinen Bruder oder mein Eis. Demonstrativ öffnete ich das Buch. Hoffte, er würde kapieren, dass diese Aktion unpassend war. Im Augenwinkel beobachtete ich seine Reißverschluß-Geste und wie er sich in sein Smartphone vertiefte.

Es dauerte weitere zehn Minuten, bis endlich mein Eis kam.

»Alter, musstest du erst mit einem Pinguin kämpfen?«, blaffte er seinen Bruder an.

»Er kann nichts dafür!« Solange sein Bruder das Eis trug, würde er unter meinem Schutz stehen. Dave schenkte ich einen bitterbösen Blick. Er kuschte.

Die Wirkung des ersten Eises blieb aus, was am Gegenüber lag. Seine Aura – oder meine Gefühle zu ihm – blockierten die Ablenkung. Der Stift flog über das Papier, kratzte Buchstaben, Wörter und Sätze in das unschuldige Weiß.

***

»So viele Idioten und nur eine Sense?« Jemand sprach hinter mir, doch es war nicht Dave. Ein Blick auf dessen Platz zeigte mir, dass seine Gesellschaft beendet war.

»Wie bitte?«

»Na der Aufnäher auf deiner Tasche. Der gefällt mir, der kleine Tod mag Menschen ähnlich gern wie ich, und zwar überhaupt nicht.«

War das nicht ein Widerspruch? Sie quatscht eine Wildfremde an wegen eines Bildes und kann Leute nicht leiden? Hinter mir stand ein Mädchen, die war sicher ein oder zwei Jahre älter. Ihre Haare waren rot, unnatürlich rot. Und sie hielt in jeder Hand ein Eis. »Wenn du Menschen nicht leiden kannst …«, hob ich an.

»Du siehst aus, als solltest du hier nicht allein sitzen.«

»Woran machst du das fest?«

»Dein Eis: eins gegessen, das andere sträflich zum Schmelzen zurückgelassen und nur noch eine Suppe aus Ürgs.« Sie stellt die frischen ab. »Niemand sollte das einem Eis antun. Vernichten wir diese beiden, bevor mein Kaffee kommt!«

Der Satz endete abrupt, indem sie sich ihren Löffel in den Mund schob. Da schwang eine Frage mit. Sie würde gleich gestellt: was los sei. Das erschien mir unausweichlich.

»Kerle? Kerle.« Mehr sagte sie nicht, aß weiter und nahm neben mir Platz. Räumte Rucksack und Longboard auf die Bank gegenüber.

Sie verstand meine Gefühle besser als Dave, zumindest in diesem Moment. Erkannte an zwei Eis, was hier im Argen lag.

»Ach Nine, suchst du wieder ein neues Opfer, dass deinen Klischeeanalysen entspricht?« Es war Daves Bruder, der den Beschützer raus hängen ließ. So bedrohlich wie er ihr gegenüber auftrat, entging mir wohl mehr als ein nettes Gespräch. Auf welches Klischee spielte er an?

Sie erhob sich kommentarlos und verschwand mit ihrem angefangenen Eis in die Nacht.
In mein Buch malend versuchte ich gelassen und unbeeindruckt zu wirken. Und merke selbst, wie schlecht mir dies gelang.

»Hör mal, das erscheint dir sicher etwas seltsam. Ich bin Daves Bruder und die Worte sind deshalb für dich, weil du seine beste Freundin bist.« Er stellte mir Nines Kaffee neben die frische Eistüte. »Wenn Dave irgendein Kerl wäre, würde ich ihn die Chance auf ein Gespräch geben. Immerhin ist dir durch die ganze Stadt hinterhergelaufen.«

Damit drehte er sich um und ging.

»Danke« nuschelte ich in den Kaffee. Zu meinem Übel war Dave nicht irgendein Kerl. Das mit der Chance sollte ich mir überlegen. Still beobachtete ich den Tropfen Eis. Er ran an der Tüte hinab. Gab es eine Strafe für das Schmelzenlassen von Eis? Mit jedem Löffel sammelte sich mehr Mut in meiner Brust. Wäre Nines Rat ähnlich ausgefallen? Den halbvollen Kaffee ließ ich stehen und rollte zurück zur Cloud City.

***

Das Eingangsschild Gartenanlage Wolkenhügel erinnerte mich schmunzelnd. Wir waren der Meinung, die Bezeichnung passt zu einem Friedhof. Wir hatten die wildesten Ideen. Bis ein nebliger Morgen die Antwort verriet, wie der Name wohl entstand.

Dave war nicht dort. Meine Finger fuhren die einzelnen Buchstaben des Spruches nach. Hoffnung? Oh davon hätte ich gern eine Tüte voll.

»Du bist hier nicht länger erwünscht.« Die Stimme unter mir war unbekannt und gebieterisch.
Von den Tränen verschwommen sah ich hinab, erkannte nur den Boden und mein Longboard. »Das kann außer mir nur einer festlegen und Dave ist nicht hier.« Es klang härter als beabsichtigt. War das sein Vater? Hieß es nicht, hier wäre er vor ihm sicher?

»Oh doch, das darf ich. Bis du ihn um Entschuldigung bittest, hast du hier Hausverbot. Es ist unser Kleingarten. Nötige mich nicht dazu, dich gewaltsam zu entfernen. Ab jetzt ist jeder Besuch hier ein Hausfriedensbruch. Verschwinde!«

Meine Knie wurden weich. Die Augen brannten. Wie konnte er so gemein zu mir sein? Was hatte Dave ihm erzählt? Diesen einzigen Rückzugsort durfte ich nicht verlieren. »Bitte nicht!«

»Nein, er hatte genug Geduld mit dir für unsere ganze Familie. Das Maß ist voll, geh!« Es raschelte und ich sah einen langen Mantel in die Nacht verschwinden. »Jetzt!« Er drehte sich dafür nicht einmal um. Seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, wie ernst er es damit meinte.

Ich küsste meine Finger und drückte diesen Kuss auf den Spruch. Es war ein stummer Abschied. Egal wie die Sache ausging, der Ort erschien mir entweiht.

Er würde seine Entschuldigung bekommen.

Dieser Tag wurde doch in der Hölle gewebt? Hier würde ich nicht zusammenbrechen. Überhaupt, wem half das? Wie kochendes Blut spürte ich den Hass und die Wut in meinen Adern. Diese richteten sich gegen Daves Vater und mich, da ich alles versaut hatte.

Wofür hatte er Geduld? Es gab etwas, das ihn durch die ganze Stadt hinter mir her trieb. Wie sollte ich ihm eine Chance geben? Sein Handy meldete offline. Wo war er überhaupt hin?
Sein Bruder … der konnte mir nicht helfen. Es gab keinen Ort, an dem ich Dave vermutete. Wo er wohnte, hatte er absichtlich verschwiegen. Und doch hatte ich eben seinen Vater kennengelernt.

Es blieb nur der Weg nach Hause. Zum Glück war es eine warme Nacht. So legte ich mich in die Netzschaukel auf unserer Terrasse. Er hatte es geliebt, auf diesem geflochtenen Kreis zu liegen und sich sanft hin und her zu bewegen. Egal wie stark ich sein wollte, nichts gelang.

***

Das Knarzen der Gummibänder riss mich aus dem Schlaf. Daves Geruch verriet ihn sofort.

»Es tut mir leid, bitte entschuldige …« sprachen wir unisono in den Himmel. Ich spürte das Lachen erst als Vibration und hörte es später. »Mein Vater hat unrecht und du alle Zeit der Welt.« Es fiel ihm schwer, zwischen dem Kichern Worte zu formen.

»Wofür hab ich die?« Wie gab man eine Chance? »Was …« mein Satz glitt mir durch die Finger. »Auf deine Frage schulte ich dir einige Antworten.«

Trotz Luftholen konnte ich nicht weiter sprechen. Die Gedanken spielten Verstecken. »Mum hat übelst Terror gemacht wegen einer Drei. Deshalb bin ich geflohen.« Seine warme Hand berührte meine. Das gab mir Halt und Vertrauen. Es war klar: diesen Teil der Antwort suchte er nicht.

Bevor mir über die Lippen kam, was ich ihm schon im Baumhaus sagen wollte, spürte ich seinen Mund. Der Kuss war zärtlich, schüchtern und zurückhaltend. Daves Lippen waren wärmer als seine Hand und sie zogen all das Unheil aus meinem Herzen.