Unter dem Thema „Stink- Stiere“ sollten die Community Mitglieder von Pie bis 30.09.21 ihre Kurzbeschichten einreichen. Am 03. Oktober früh am Morgen war nun die offizielle Lesung.
Meine Geschichte, die ich hier mit Euch teilen möchte, lief unter dem Untertitel „Blut und Schwärze“
Blut und Schwärze
Selbst wenn Gwen nichts sah, so spürte sie, wie ihr die Flüssigkeit durch die Finger ran. Sie schmeckte den metallischen Geruch auf der Zunge. So zäh, wie es sich anfühlte, erschien Blut, die einzige logische Erklärung zu sein. Sie versuchte, sich erneut abzustützen. Dabei tauchte sie die Finger wieder in das lauwarme Nass. Sofort stieg die Panik in ihr auf. Die Erinnerung, wie sie hier her gekommen war, weigerte sich. Hatte ihre Mutter immer gepredigt: »Kindern und Besoffenen passiert nichts.« Am Arsch. Bei dem Gedanken an diesen Omaspruch fühlte sich ihr Kopf dumpfer an. Genau ein Kater konnte sie hier ebenso gut gebrauchen, wie das Schnauben, das rechts von ihr in der Dunkelheit erklang. Sofort war ihr Körper von einer Gänsehaut überzogen. Was erzeugte so ein Geräusch? Sie vermochte es nicht zuzuordnen. Zu nah war es auf jeden Fall.
Mit aller Kraft drückte sie sich hoch. Eine Kälte zog über die Unterseite ihres Hinterns und der Beine. Erst jetzt überlegte sie, ob es ihr Blut war. Nur ihr Hirn schmerzte. Sie war nicht verwundet. Die Lache erstreckte sich um sie. In dem Moment, da sie sich weiter erhob, rutschten ihre Fersen nach vorn weg. Unsanft und mit einem ekelhaften Schmatzen lande ihr Po wieder in der Suppe. Übelkeit stieg ihr die Kehle hoch. Das Schnauben erklang erneut. Sie würde gern die Hand an den Mund nehmen. Schwer schluckte sie.
Ein neues fernes Geräusch kam dazu. Es hörte sich wie Gemurmel an. Ein laufender Fernseher, Radio oder sogar echte Menschen. Rufen erschien ihr falsch. Was wenn dieses Leute ihr genau das hier angetan hatten. Die sollten sie nicht weiter quälen. Wurde sie überhaupt gefoltert? Wo kam dieser Gedanke her? Sie reagierte über. Womit hätte sie es verdient? Funktionierte ihre Welt nach jenem Schema? Glaubte sie an Karma? Wenn, blieb die Frage, welche Verfehlung sie so büßte. Einige unschöne und fiese Erinnerungen trampelten durch den verkaterten Kopf. Nichts erschien ihr schlimm genug, nicht mal die Summe aus allem.
Es knarzte. Ein Geräusch wie die vierte Stufe in ihrem Elternhaus. Jemand oder etwas hatte sich bewegt. Altes Holz wurde belastet. Sie konnte die Richtung nicht bestimmen. Wurde sie beobachtet? Der Atem stockte ihr. Wo steckte sie hier drin. Ihr ganzer Körper flehte nach einem Hilfeschrei. Davor hatte sie Angst. Es würde sie verletzlich zeigen und es verschlimmern. Weiter lauschten ihre Ohren in die Schwärze. Sie traute sich nicht zu tasten. Es blieb nur das Hören. Die Augen schienen sich nicht dran zu gewöhnen oder es gab hier kein Licht. Gwen erinnerte sich nicht an eine ähnlich absolute Finsternis.
Etwas berührte ihren rechten Fuß. Sofort zuckte sie zurück und die Lache unter ihr schmatzte erneut. Das war ekelhaft. Die Übelkeit kämpfte sich ihren Hals hoch. Mühsam hielt sie den Magen drin. Das würde ihre Lippen morgen zum Blühen bringen. Warum erschien das als ihr dringlichstes Problem? Sie atmete tief durch den Mund. Sie traute dem Geruch zu, das Übergeben eher zu fördern. Es gelang notbedürftig. Ein metallischer Geschmack blieb.
Es würde nicht helfen und doch versuchten Ihre Augen ihr Bein, den Fuß oder das was sie berührt hat zu sehen. Kein Schatten zeigte sich. Aus Erschöpfung machte sie den Fehler, tief durch die Nase zu atmen. Der neue Geruch war ein seltsamer Gestank. Sie kannte ihn von Festivals. Schlammige Klamotten rochen dann zu Hause so. Genau es war, wie, Erde die gärt. Es stank so intensiv und überdeckte den Blutgeruch. War das Schnauben oder die Berührung schuld?
Über ihr erklang ein metallisches Schaben, wie eine alte Bunkertür. Das verrostete Scharnier gab laut kund, wie widerwillig es seinen Dienst verrichtete. Etwas schlug raschelnd neben ihr auf. Die Entfernung war nicht schätzbar in der Dunkelheit. Was da fiel, traf sie nicht. Ein leichter Geruch nach Stroh wehte durch den Raum. Vermischte sich mit dem erdigen Gestank. Was es letztlich nicht verbesserte. Das Schnauben hallte freudiger durch ihr Gefängnis. Davon fühlte sie sich nicht erleichtert. Eine Fütterung?
»Nein bitte lasst mich los!«, rief eine weibliche Stimme. Sie kam aus der hinteren Ecke. Sofort zuckte der Kopf herum. Gwen sah gespannt in die Richtung. Ein lauter gurgelnder Schrei schenkte ihr erneut eine Gänsehaut. Dann war es fast still, nur ein leises Malmen war zu hören. Diese Kulisse wirkte surreal. Konnte sie aus diesem Alptraum nicht einfach wieder aufwachen?
Eine Tür wurde aufgerissen und Licht flutete den Raum. Es war so hell, dass Gwen kurzzeitig erblindete. Doch sie nahm ein Schema wahr, dass einer verwesenden Kuh ähnelte. Stand da ein Zombie-Stier und fraß Stroh? Dieses Etwas muhte, als ein schwerer Gegenstand in den Raum geworfen wurde. Ihr Blickfeld war mit jenen Flecken blind, die sich bildeten, wenn man in die Sonne sah. Trotzdem war sie sich sicher. Die Frau, die eben schrie, lag neben ihr. War sie tot? Bevor ein Umsehen möglich wurde, schloss die Tür das Licht wieder aus und brachte sie zurück in die Dunkelheit.
»Alles hat ein Ende nur dieser Alptraum nicht.« Gwen war verwirrt, wieso sie diesen Gedanken hatte und ihn noch dazu laut aussprach. Drohte sie verrückt zu werden? Sie multiplizierte zweistellige Zahlen, was ihr problemlos gelang. Es erschien ihr zweifelhaft, ob dies eine medizinisch oder wissenschaftlich belegte Art zu testen war. Ihr reichte es, um den klaren Verstand zu beweisen. Sie saß in einer Pfütze, die Blut zu seien schien. War angezogen. Vor ihr fraß ein Stink-Stier Heu. Dahinter lag die Leiche einer Frau. Nichts schmerzte und ziemlich sicher war es nicht ihr Lebenssaft. Es machte es nicht angenehmer. Vor allem da es nicht geronnen oder kalt war. Nach dem Überschlagen der Situation sah sie weiterhin keinen Ausweg aus dieser Hölle.
»Hi, wie lange sitzt du schon hier?« Hauchte ihr eine dunkle Stimme von hinten ins Ohr. Gwen sprang auf und hatte zu tun ihre Blase in sich zu behalten. Ihr Herz wummerte wie der Bass in der Disko. Der ganze Körper stand unter Strom und zitterte. Wer war das? Schwer und stoßweise atmet sie. Wie kam sie auf die Idee hier alleine zu sein? Ja den Stier hatte sie mitbekommen. Aber wer war er? Was machte er hier, hatte sie ihn geweckt? Gab es mehr wie sie? »Hab keine Angst.«, raunte es wieder hinter ihr. Sie sprang nach vorn. Etwas gab ihr das Gefühl, er würde sie gleich umarmen. Wie dämlich es war, in die Schwärze zu springen, spürte sie erst, als sie mit den Fersen auf der Kante landete. Sie hatte zu viel Schwung. Egal wie sehr sie mit ihren Armen ruderte. Ihr eigenes Gewicht schob sie vorwärts. Die Zeit schien still zu stehen.
Instinktiv versuchte sie vor sich etwas wie Halt zu finden. Ihre Finger fanden eine Wand. Rau bohrten sich die kleinen Steinchen des Putzes in ihr Fleisch. Ihr Körper lag fast in der Waagerechten. Wie lange hatte sie Kraft, sich so zu stützen? »Hilfe?« Jetzt wünschte sie sich eine Berührung, ein Halten. Das Blut an ihren Händen gab weniger Haftung. Langsam rutschte sie an der Wand entlang. Wann fing er sie ab. »Lass los. Dann bist du wenigstens frei!« Seine Stimme war spöttisch.
»Warum?« Sie krallte ihre Fingernägel in den Putz, streckte die Arme weiter aus. Die Kante drückte stark in ihre Fersen. »Ich fänd es allein besser. Du bist mir zu laut. Sitzt in meinem Blut und verteilst es dort auf dem Gemälde. Ich habe Wochen dafür gebraucht und nun leidet der Künstler in mir.« Vor Scham hätte sie fast losgelassen. »Was habe ich dir getan?«
Schuld kämpfte sich in ihr durch den Magen und die Oberarme zitterten. Ihre mentale und körperliche Kraft näherte sich dem Ende. »Wenn du unten ankommst, wirst du nichts mehr spüren. Es gibt nur einen leisen Platsch, wie ein nasser Spüllappen der auf den Boden fällt.« Reichte die verbliebene Energie aus, um sich wieder aufzustellen? Sie klammerte sich an diese Hoffnung und stieß sich ab. Sie ruderte rückwärts und rutschte mit den Fersen weg.
»Netter Versuch.« Gwen sah sich fallen. Ihr Herz glitt in die Knie. »Platsch, einfach nur Platsch und alles ist vorüber.« Wut überrannte sie, während sie schwerelos in der Luft schwebte, die Zeit erneut stillstand. Wer war so ein Ekel? Der Typ lebte schon wie lange hier? Er ist sicher verrückt.
Sie schlug mit ihrem Hintern auf der Kante auf. Sofort warf sie ihren Oberkörper rückwärts. Es war egal, dass es wieder schmatzte. Gwen landete im Blut. Etwas traf sie mit dem Hinterkopf. Es knackte und das Getroffene wich zurück. Erstmal atmete sie tief durch. Dabei war ihr der Geschmack und Gestank gleich. Sie hatte den Fall abgewendet. Der Stier fauchte. Ein weiteres Knacken erklang hinter ihr. »Du elende Hu …« Seine Stimme erstarb. Das Brechen wurde allmählich leiser. Es klang nicht nach dem nassen Lappen.
Gwen zog ihre Füße wieder aus dem Abgrund. Dabei vermied sie ruckartige Bewegungen aus Angst, etwas schnappe danach. In dem Moment freute sie sich, dass der Stier nur sein Heu fraß. Obwohl wem immer die Stimme gehörte, … Den Gedanken wollte sie nicht weiter führen. »Braves Tier.« Doch aus dessen Ecke kam ein gequälter Schrei. Die anderen Geräusche klangen, als würde jemand Nüsse knacken und einen nassen Schwamm quetschen. Jene wurden lauter, bis Gwen etwas auf die Kleidung spritzte.
Ein Licht flog an ihr vorbei. Doch sie war zu geschockt, um wegzusehen. Vor ihr lag ein abgetrenntes Bein. Dort wo der Stier vorhin die Silhouette bildete, existierte ein großer Haufen Fleisch, Gedärme und geborstene Knochen.
Die hinabsegelnde Lampe war auf Augenhöhe mit Gwen und deshalb sah sie die roten Flecken auf ihrem Bauch. Wenn sie es nicht besser wüsste, so sähe ein Treffer mit einer Wasserbombe aus. Sie wollte nicht wissen, ob es vom Stier oder der Stimme stammte. Das es Blut war, zweifelte sie nicht an. Gwen orientierte sich zu der Stelle, da sie die Tür vermutete. Dort stand in blutigen Buchstaben »Renn!«
Doch dafür war es zu spät. Das Licht fiel an ihr vorbei und etwas packte sie an der Schulter. Es riss sie nach hinten. Gwen suchte Halt. Stemmte sich da gegen. Schrie ihre Wut hinaus. Wandt sich. Versuchte denjenigen zu treten. Es blieb nutzlos. Diese starken Hände zerrten sie über die Kante. Sie schloss mit ihrem Leben ab. Spätestens mit dem Rutschen ihrer schwachen Füße ins Nichts. Wo war die rettende Wand geblieben? Wie sollte sie der Warnung folgen? Sie wusste keinen Ausweg, auf den sie zu rennen könnte.
Für einen dritten Moment blieb die Zeit stehen und in der Dunkelheit merkte Gwen nur im Bauch und den Ohren, dass sie fiel. Sie erinnerte sich: »…wie ein nasser Spüllappen der auf den Boden fällt.« Ihr Körper rollte sich in Fötusstellung zusammen. Ein Luftzug zeigte eine Beschleunigung. Wo war das Licht geblieben? Sie erkannte es als es auf einem entfernten Boden voller Spitzen und Leichenteilen landete und dann wurde es um sie gleißend hell.
»Na wie findest du mein neues Spiel? Zu düster?« Er lachte laut, mit der VR-Brille in der Hand. Gwen hatte sich eingenässt und er war so fair sie nicht darauf hinzuweisen. Sie war weiterhin angeschnallt und wartete auf die Befreiung. »Der Stink-Stier war too much.«, brachte sie gequält über die Lippen. »Für eine Geisterbahn genau das Richtige. Grusselfaktor over 9.000 würde ich sagen.« Weiter konnte sie nicht reden, da er sie lang und innig küsste. ›happy bloody end‹