15
Wie immer saß das Brüderchen schon auf seinem Hocker an der Bar. Mit meinem Finger auf den Lippen hielt er die Luft an. Er hatte hin und wieder vereinzelnde lichte Momente. Der Whisky stand längst vor mir. Die glänzenden Würfel schwammen leise klirrend herum. Das Lächeln des Barkeepers hob meine Laune nicht. Er wurde gerufen, so dass mir seine Nachfrage erspart lieb. Die Muskeln auf dem Rücken spielten unter seinem engen Shirt, wenn er mir den Flaschen jonglierte. Ob er diesen Blick spürte? Er ließ sich zumindest nichts anmerken.
Das liebe Brüderchen holte Luft. Er beabsichtigte diese Ablenkung auszunutzen? Seine Neugier freizulassen? »Dee, was ist …« Wie konnte man ihm beibringen, wie wenig Redebedarf man besaß? Der Blick auf sein Feuerzeug, dass in dem Moment aus meiner Hand unsanft auf den Tressen fiel, stoppte, was immer auf der Zunge lag. »Hey, heute habe ich niemanden getötet!«, raunte er.
Die Finger flogen nur so über die Tastatur. Eine Kellnerin fragte, passend zu dem Lied auf den Ohren, ob ich einen Kaffee möchte. Kurz durchzuckt mich der Gedanke, ein Bier zu bestellen. Bevor der Song meine Lippen zwingt, tonlos mitzusingen. Dabei deutet ein Nicken auf das leere Glas. Der Protagonist in der aktuellen Szene handelt nicht, wie es der Plot vorsieht. Für eine Ablenkung beiß ich in das Schokocroissant. Es hilft nichts. Der Kerl muss da anders ran gehen. Verzweifelt schiebe ich die letzten beiden Absätze auf den Müllstapel. Voll im Bewusstsein, das niemals zu verwenden.
Erneut beginne ich die Szene in der Höhle. »Kettenrasseln, flackerndes Licht, ein leicht modriger Geruch, geht noch mehr Klischee?« Mault mich der Prota im Gedanken an. »Hey, heute habe ich niemanden getötet!« »Was willst du? Einen goldenen Stern? Eine Medallie? Einen Orden?« »Mir würde es genügen, wenn du deine Rolle spielst.«, antworte ich flüsternd zu meinem Laptop. »Bitte?«, fragt die verwunderte Kellnerin, welche mir gerade den Eiskaffee reicht. »Nichts, nichts!« Wehre ich ab. »Sie quälen sich seit 45 Minuten und 3 Gläsern mit der gleichen Szene. Das sieht man sogar von dort drüben.« Ihr Finger deutet auf die 20 Meter entfernte Kuchentheke. »Sie beobachten mich?« Eine leichte Röte schießt ihr ins Gesicht. »Vielleicht.« Sie lächelt.
Meine Augen überfliegen die Zeilen der letzten Minuten. Es sind zu wenig Wörter. Noch dazu fühle das Autorenherz die Szene nicht. »Kann ich helfen?« Holt sie mich zurück in die Realität. Dabei war mir nicht aufgefallen, dass sie mit dem leeren Glas weiterhin neben mir stand. »Entschuldige, es rattert.« Ich deute auf meine Stirn. »Das war unhöflich, tut mir leid.« Ihr Lächeln wird breiter. Für mich wirkt sie wie eine Studentin. Sie verließ den Tisch und wackelte auffällig mit dem Hintern. »Das tut sie extra, um dich zu inspirieren.«, fügte der Protagonist nutzlos hinzu.
Die Lider fielen mir auf halbmast. Dieser Typ konnte ausschließlich nerven. »Deine Fantasie macht das allein. Das ist dir schon klar?« Wirft er mir etwa vor, schizophren zu sein? »Nein, ich? Niemals. Wie war es mit: ›in meinem Kopf sind 8 Stimmen. 7 rufen mir zu: ›du kannst sie nicht alle töten.‹ und die Letzte summt die Melodie von Tetris … während sie das MG nachlädt.‹ oder so?« Er legte es wirklich darauf an. Ein Knurren kam mir über die Lippen.
Ein Longdrink mit verschiedenen Farben, landete neben dem Rechner. »Du hast eine verspannte Haltung. Darf ich?« Dabei legte sie ihre Hände auf meinen Schultern. »Danke, ist das Kundenservice?« Zu spät biss ich auf die Zunge. »Nee hab Schluss und leiste erste Hilfe.« Das hauchte sie mir in die Ohren. Ihr Atem roch nach Minze und desen Wärme am Ohrläppchen sorgte für eine leichte Gänsehaut.
»Erklär doch mal dein Dilemma!« »Ein Künstler erklärt sein Werk nicht.« Sie drückte meine Schultermuskeln zusammen. »Dazu braucht es ein fertiges Solches, richtig? Es geht nur um die Szene, nicht das ganze Buch.« »Der Protagonist ist auf dem Weg zum Love Interest. Dabei überlegt er immer wieder, sollte er besser umdrehen und bei seinem alten Leben bleiben.«, »Hmm!« »Weil er schuld ist, dass sie dort in der Höhle gefangen wurde.«, »So und wo genau hängt die Story?« Meine Gedanken drehten sich um das Problem.
»Der Mistkerl …« »Hey«, kommt eine Beschwerde aus dem Äther. »… nervt mich so, dafür würde ich ihn töten.« »Na vielen Dank«, meldet er sich erneut. »Warum lässt du ihn dann nicht sterben. Er rettet sie dabei zufällig.« »Das geht nicht.« Ihr Gesicht schob sich mir in den rechten Blickwinkel. Alles daran stellte nur die eine Frage: »Warum?« Der Bildschirm gab mir keine Antwort. Das Gewissen sträubte sich gegen die Wahrheit: »Weil … Ja … Ähm … ich hab mich in ihn verliebt.« Der Kloß im Hals war gigantisch. Er schnürte mir die Luft ab. »Das wurde nicht gesagt?!?« Protestierte der miese Kerl in mir. »Was du liebst, lass frei! Kille ihn!« Meine Lippen kräuselten sich. »Tja war schön mit dir.« Mit diesem Gemurmel, brach mittels Tastengeklapper die Höhle über dem Entführer und dem Protagonisten zusammen. »Argh…« War alles, was von Letzterem zu hören war. »Danke!«